Kommt es zu einer Grenzverschiebung zwischen Kosovo und Serbien? Die wichtigsten Fragen und Antworten!

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Liebe Leserinnen und Leser,

in den letzten Wochen hat es viele neue, teilweise widersprüchliche, Meldungen zum aktuellen Dialogprozess zwischen dem Kosovo und Serbien gegeben. Um euch einen Überblick zu verschaffen, wollen wir euch die wichtigsten 7 Fragen diesbezüglich beantworten, wobei wir eine Reihe von deutsch-, albanisch- und englischsprachigen Artikeln begutachtet haben:

(1) Es wurde in letzter Zeit viel über Grenzverschiebungen geredet. Um welches Territorium geht es dabei eigentlich?
Eine Möglichkeit, das Kosovo-Problem zu lösen, wäre, dass Serbien und der Kosovo Gebiete austauschen. Ein häufiger Ansatz dabei ist, dass der Nordteil der Stadt Mitrovica sowie die größtenteils serbisch besiedelten nördlichen Kommunen Leposaviq, Zveçan und Zubin Potok an Serbien gehen. Dafür bekäme der Kosovo die mehrheitlich albanischen und an den Kosovo grenzenden Kommunen Presheva, Bujanovc sowie Medvegja. Tatsächlich aber geht es bisher nur um die Frage, ob überhaupt irgendwelche Grenzverschiebungen infrage kommen. Welche Territorien dann konkret ausgetauscht würden, ist auf offener politischer Ebene noch gar nicht diskutiert worden.

(2) Wer unterstützt eine Lösung in Form einer Grenzverschiebung?
Zu den energischsten Verfechtern einer Grenzverschiebung gehört Serbien. Der Kosovo war seit jeher gegen jegliche Korrekturen von Grenzen, insbesondere verbietet die kosovarische Verfassung eingentlich auch jegliche Gebietsabtretungen oder territoriale Ansprüche an andere Staaten. Bisher waren die USA und die EU ebenfalls gegen Gebietskorrekturen. Dieses Jahr gab der US-Botschaft im Kosovo, Greg Delawie, jedoch erstmals ein davon abweichendes Signal, indem er verkündete, die USA würden die Debatte über Grenzverschiebungen den Streitparteien Kosovo und Serbien selbst überlassen. Die EU dagegen ist uneinig. Während EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn eine solche Lösung ebenfalls befürwortet und ebenso Frankreich, stehen Deutschland und Großbritannien einer Grenzverschiebung immer noch skeptisch gegenüber. Angela Merkel erklärte, die Grenzen auf dem Balkan seien „unantastbar“. Die kosovarische Regierung lehnt eine Grenzverschiebung mit Serbien ab. Aber der kosovarische Präsident, Hashim Thaçi, forderte hingegen immer wieder Grenzkorrekturen mit Serbien und den Anschluss von Presheva, Bujanovc und Medvegja an den Kosovo. Thaçi gilt als wichtigster pro-amerikanischer politischer Akteur in Prishtina. Innerhalb Kosovos wird Thaçi für seine Forderungen  jedoch sowohl von der Regierung als auch von der Opposition kritisiert.

(3) Warum will Serbien eine Grenzkorrektur?
Serbien führt derzeit Beitrittsverhandlungen mit der EU. Immer wieder tauchte dabei das Jahr 2025 als mögliches, frühestes Beitrittsjahr für Serbien auf, obwohl Länder wie Deutschland bisher keine genaue Jahreszahl versprechen möchten. Die EU fordert aber von Serbien vor seinem Beitritt eine „Normalisierung seiner Beziehungen zum Kosovo“, was eine eher schwammige Formulierung ist. „Hinter den Kulissen“ wird jedoch von einer indirekten Anerkennung in Form eines völkerrechtlich bindenden Vertrags zwischen Belgrad und Prishtina gesprochen. Dadurch würde der Kosovo unter anderem der UNO beitreten können. Serbien muss also möglichst rasch eine Lösung mit dem Kosovo finden, um möglichst bald der EU beizutreten. Wenn es die Gebiete nördlich von Mitrovica erhielte, bekäme es dadurch auch die völlige Kontrolle über den See Ujmani (serbisch: Gazivoda), der größtenteils in der kosovarischen Kommune Zubin Potok liegt sowie die nördlich von Mitrovica liegenden Trepça-Minen. Gleichzeitig würde sich Serbien seiner albanischen Minderheit bei Presheva und Umgebung „entledigen“, in dem sie dem Kosovo angeschlossen würde. Vučić sagte der serbischen Öffentlichkeit, darauf anspielend, dass dies notwendig sei, um nicht in 50 Jahren Vranje zu verteidigen [Stadt in Südserbien, nordöstlich von Presheva].

(4) Warum ist die Regierung Kosovos gegen eine Grenzkorrektur?
Der in Punkt 3 genannten Ujmani- (auch Gazivoda-See genannt) ist für die kosovarische Energieversorgung von strategischer Tragweite, da er für die Wasserversorgung entscheidend ist und sein Wasser die Kraftwerke Kosova A und Kosova B bei Prishtina kühlt. Deshalb hat der Kosovo kein  Interesse an der Abtretung dieses Sees an Serbien. Auch würde es die Trepça-Minen im Norden verlieren. Darüber hinaus sagt die Verfassung Kosovos, dass der Kosovo nicht teilbar sei und auch keine Vereinigung mit einem anderen Land – und auch keinem Teil eines anderen Landes – vollziehen darf.

(5) Warum sind Teile der EU gegen eine Grenzkorrektur?
Bisher taten sich vor allem Deutschland und Großbritannien als dezidierte Gegner einer Grenzverschiebung hervor. Ihre Argumentation: Eine Grenzverschiebung zwischen Serbien und dem Kosovo würde u.a. separatistische Bewegungen in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien verstärken und womöglich legitimieren.

(6) Warum sind die USA und Teile der EU nicht mehr grundsätzlich gegen eine Grenzkorrektur?
Bisher waren sich die USA und EU im Punkt 5 einig, dass es auf dem Westbalkan keine Grenzverschiebungen mehr geben darf. Nun hat die US-Administration unter Donald Trump ihre Meinung offensichtlich geändert. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein. Ein Grund mag darin liegen, dass die USA ein weiteres Vordringen russischen und chinesischen Einflusses in den Balkan unterbinden wollen und daher möglichst zügig die noch bestehenden Konflikte lösen und die restlichen Balkan-Staaten bald als Teil der EU sehen wollen. Dafür spricht, dass auch der seit den Neunziger Jahren schwelende Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland dieses Jahr auf Druck der EU und der USA relativ schnell gelöst wurde. Die USA kann Serbien am Ehesten zu einer indirekten diplomatischen Anerkennung Kosovos bringen, wenn es ihm einen Gebietstausch anbietet, den Belgrad schon seit Langem fordert.

(7) Was ist der aktuelle Stand des Streits (Mitte September 2018)?
Am 9. September 2018 besuchte der serbische Präsident Aleksandar Vučić die mehrheitlich serbischen Gebiete nördlich von Mitrovica. Im Rahmen seiner Anwesenheit wollte Vučić auch den dort sich befindenden See Ujmani (Gazivoda) besuchen, offenbar auch um damit die Forderung an eben diesen zu bekräftigen. Die kosovarische Regierung versuchte Vučićs Besuch am See zu verhindern, andernfalls drohte Kosovos Parlamentspräsident Kadri Veseli (ein langjähriger Parteifreund von Hashim Thaci) mit seiner Verhaftung. Auf Druck westlicher Regierungen wurde Vučićs Besuch am See von Ujmani schließlich doch genehmigt.

Wir hoffen, dass euch diese Antworten einigermaßen geholfen haben, die Hintergründe des Streits besser nachzuvollziehen. Teilt uns mit, falls etwas unklar geblieben ist oder auf bestimmte Fragen näher eingegangen werden sollte.

Euer Shqip News-Team!

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